Ultima Thule II
Zu Recht sind der Eisbär und die Zerstörung seines natürlichen Lebensraumes zum Symbol des zivilisationsbedingten Klimawandels geworden. Was jedoch ist mit den Menschen, die sich seit mehr als 1000 Jahren den arktischen Lebensbedingungen angepasst haben – bringt ihnen der Klimawandel Fluch oder Segen? Seit jeher ist der Lebensrhythmus der Inuit Grönlands von der rauen arktischen Natur geprägt.
Noch sind 4/5 der grönländischen Gesamtfläche vom Inlandeis bedeckt, das eine Stärke bis zu 3000 m erreicht. Momentan erwärmt sich die Insel doppelt so schnell wie die meisten anderen Teile der Welt und die Eisdecke, in der fast 7% der Trinkwasservorräte der Erde gebunden sind, schrumpft jährlich um 200 kubikkm. Sorgte die gewaltige Eiskappe mit der darüber liegenden kalten, dichten Luftmasse für kaltes, aber beständiges Wetter, wird dieses von Jahr zu Jahr unberechenbarer. Die traditionelle Lebensweise der Inuit setzt jedoch stabile Wetterverhältnisse voraus, die es erlauben, im Winter mit dem Hundeschlitten weite Strecken über das Eis zurückzulegen und vom Eis aus zu jagen und in den ruhigen Sommermonaten mit dem Kajak auf Robben- und Fischfang zu gehen. Jetzt sind die Winter wärmer, das Eis dünner und Stürme toben immer häufiger vor der Küste. Durch die Erwärmung des Meerwassers gehen die Bestände an Garnelen und Fischen drastisch zurück. Natürlich scheint das veränderte Klima auf den ersten Blick Vorteile für die Grönländer zu bringen: Im Westen und Süden beginnt man Kartoffeln anzubauen und Schafe zu züchten. Jedoch ist dieser Teilerfolg labil – drastische Kälteeinbrüche im Sommer können schnell ganze Ernten vernichten, die Winter bringen nicht mehr nur die schützende Schneedecke, sondern Regen und Frost, das Futter für die Schafe muss größtenteils importiert werden. Und wie ist es um den Osten der Insel bestellt? Die grönländische Ostküste ist eines der unwirtlichsten Gebiete der Welt und dennoch seit über tausend Jahren von den Inuit der Dorset und Thule Kultur und deren Nachfahren besiedelt. Entlang der 3000 km langen Ostküste gibt es nur ein knappes Dutzend Siedlungen mit insgesamt nicht mehr als 3500 Menschen, die sich den arktischen Lebensbedingungen angepasst haben. Hier ist das Klima rauer, Gletscher und tief eingeschnittenen Fjorde verhindern eine Infrastruktur, die Fortbewegung erfolgt heute mit Boot oder traditionell mit den Hundeschlitten. Die Verbindung zur Außenwelt hält der Hubschrauber, aber schroffe Berge, Nebel oder Fallwinde machen einen regulären Flugverkehr nahezu unmöglich. Dreimal im Jahr läuft ein dänisches Schiff die Ostküste an und versorgt die Einwohner mit dem Lebensnotwendigen. Ca. 300 Jäger gibt es noch in dieser Region – und die Inuit sind Jäger aus Leidenschaft, können aber nur davon leben, weil Dänemark Grönland jährlich mit 450 Mio Euro unterstützt. Sicher muss in Grönland kein Mensch mehr Hunger leiden, Schulbildung und die medizinische Versorgung sind gewährleistet, auch wenn der Weg ins Krankenhaus einem 500 km weiten Hubschrauberflug über das Inlandeis bedeutet. Es fehlt an Arbeitsplätzen, Ausbildungsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven. Längst hat Hollywoods Glitzerwelt Einzug in die Häuser gehalten und Sehnsüchte geweckt, die nicht erfüllt werden können. Nicht einmal innerhalb eines Menschenlebens bricht eine tausend Jahre alte, von der Natur geprägte Kultur zusammen – eine Fülle gesellschaftlicher Probleme sind die Folge – Alkoholismus, zerrüttete Familien und Selbstmorde. Im Osten der Insel hat die Hälfte aller Jugendlichen mindestens einmal versucht, sich das Leben zu nehmen, allein in Tasilaq, der einzigen Stadt an der Ostküste (1800 Einwohner) waren es im Frühjahr 2008 mehr als 15 Jugendliche. Viele Grönländer sehen in der Klimaerwärmung eine Chance und hoffen auf die reichen, bald zugänglichen Rohstoffressourcen des Landes. Vor der Nordwest-und Nordostküste Grönlands lagern Schätzungen zu Folge 50 Milliarden Barrel Öl und Gas im Wert von mehreren Billionen Dollar und allein im Süden des Landes gibt es Lagerstätten Seltener Erden, die für 50 Jahre einen effektiven Abbau versprechen. Grönland könnte somit endlich seine Unabhängigkeit von Dänemark erlangen. Exxon Mobil, Chevron und andere Ölkonzerne haben längst Öl- Förderlizenzen erworben – jedoch ist die See hier rauer als anderswo und eine ähnliche Katastrophe, wie der Untergang der „Deep Water Horizont“ würde ein gesamtes hochsensibles Ökosystem vernichten. Manche Inuit sehen in der kommenden Ausbeutung der Rohstoffe auch ein Geschäft mit dem Teufel – denn selbst wenn die Grönländer von diesem Geschäft profitieren sollten, wird in gleichem Maße das Wissen um eine uralte Kultur sterben.
Quellen: Freddy Langer „Grönland- Ein Reiselesebuch“; National Geographic, Ausgabe Juli 2010; Eigene Beobachtungen und Gespräche
Sermiligaq an der Ostküste: Zum Schutz gegen den Schnee werden die Holzhäuser auf “Stelzen” gebaut. Jeder Meter muss dem felsigen Untergrund und dem Permafrostboden abgerungen werden. Das Baumaterial, Heizöl sowie alle Waren des täglichen Bedarfs müssen mit dem Schiff aus Dänemark geliefert werden, das dreimal im Jahr die Ostküste ansteuert.
Ittoqqortoormiit mit ihren 560 Einwohnern ist die kleinste und entlegenste Kommune Grönlands. Tasilaq im Südosten liegt 800 km weit entfernt, bis zur nächsten Siedlung an der Westküste sind es 1200 km.
Am Hafen von Ittoqqortoormiit
Über Satellitenschüsseln hat die westlich Überflussgesellschaft Einzug in die Häuser der Inuit gehalten. Es werden Sehnsüchte geweckt, die nicht erfüllt werden können.
Fehlende Zukunftsperspektiven: Im Osten der Insel hat die Hälfte aller Jugendlichen mindestens einmal versucht, sich das Leben zu nehmen…
Blick auf das Dorf Sermiliqaq an Ostküste: Was wird die Zukunft für die Kinder des Dorfes bringen?
Fussball spielen zählt zu den Leidenschaften, nicht nur der jungen Inuit. Für ein Turnier zwischen den einzelnen Dörfer werden gern einige Stunden Anfahrtszeit im offenen Motorboot in Kauf genommen. Voller Stolz werden die Bilder der siegreichen Mannschaft im Wohnzimmer präsentiert. Und natürlich sind die internationalen Stars genauso bekannt und beliebt wie hierzulande.
Etwa 300 Jäger gibt es an der Ostküste, viele von ihnen gehen im Winter noch mit dem Hundeschlitten auf die Jagd. Einen Motorschlitten, der den sozialen Status hebt, kann sich nur leisten, wer Arbeit hat – Verwaltungsangestellte, Ärzte oder im Tourismus Beschäftigte – und das sind die wenigsten.
In der Werkstatt eines Tupilak Schnitzers: Tupilaks sind böse Geister mit menschlichen Gesichtern und Tierkörpern – ursprünglich wurden sie gefertigt, um Feinde zu bezwingen, denn sie töten jeden, der sich ihnen nähert. Nur Schamanen konnten sie erschaffen und zum Leben erwecken. Ein gefährliches Unterfangen, konnte es doch auch passieren, dass das Opfer zu stark war und sich der Tupilak dann gegen seinen Schöpfer wandte und ihn tötete. Es gibt einige Künstler, die es im Schnitzen dieser Figuren, die manchmal nicht größer als ein Daumen sind, zu einer hohen Perfektion gebracht haben. Wirklich leben können sie davon nicht.